Hier möchte ich Euch von meinen Erfahrungen berichten, die ich in verschiedenen deutschen Writers' Rooms gesammelt habe. Ich habe diese Arbeitsmethode, die ursprünglich aus den USA kommt und dort erfolgreich zur Entwicklung von Serien angewendet wird, bei dem Projekt "Porterville" von Serienmacher Ivar Leon Menger kennenlernen dürfen. Das war zwar noch kein originaler Writers' Room, aber für mich der Beginn einer großen Leidenschaft. Denn vor allem geht es im WR um eines: Gemeinsam mit Autorenkollegen eine Serie, einen Roman einen Film oder ein Hörspiel entwickeln. Also echte und wahrhaftige Teamarbeit! Das ist zwar richtig anstrengend und fordernd, macht aber auch irrsinnig viel Spaß. Und die Ergebnisse können sich absolut sehen lassen.
Es gibt mehrere Arten und Gründe, einen Writers' Room durchzuführen. Dabei bedient man sich entweder des Originales aus den USA (was in Deutschland leider allein wegen des Urheberrechtes schwer umsetzbar ist) oder man adaptiert (und das ist meine Empfehlung) das Modell für seine Zwecke. Ich selbst habe verschiedene Modelle durchlaufen und kann die Vor- und Nachteile der jeweiligen Versionen benennen. Es hängt immer davon ab, welches Ergebnis man wünscht. Daraufhin sollte man seinen Writers' Room anpassen. Gerne beantworte ich Eure Fragen zum "Rudelschreiben" oder berate Euch in Eurem Writers-Room-Projekt. Gerne verfasse ich auch Artikel für Euch, Euren Blog oder Euer Magazin zum Thema Writers' Room. Schreibt mir einfach eine Mail.
Beat sheet für die Episode einer TV-Serie (entwickelt im Writers' Room LAB 2018 in München).
In Kürze, denn das Thema Writers' Room ist sehr umfassend (weiterführende Informationen unten in den Literaturtipps):
Vorteile eines Writers' Rooms im Vergeich zum Schreiben alleine:
Literaturliste und weiterführende Informationen zum System Writers' Room:
Writers' Room – der entfesselte Irrsinn (für den Blog "Veras Welt")
von Anette Strohmeyer
Man hört derzeit immer öfter von ihnen, den legendären Writers' Rooms aus den USA, in denen die Stoffe zum Träumen produziert werden – von acht bis zehn Autoren gemeinsam, oft wie am Fließband. Für eine eigenbrödlerische Autorin eine abschreckende und zugleich faszinierende Vorstellung. Denn es sind allesamt großartige TV-Serien wie "Breaking Bad"oder "Game of Thrones", die auf diese spezielle Weise erschaffen werden. Aber kann man dieses Prinzip auch hierzulande anwenden? Und noch kühner gedacht: Können auch Romane oder Hörspielserien von der kreativen Zusammenarbeit mehrerer Autoren profitieren?
Zunächst einmal: Was ist überhaupt ein Writers' Room?
Kurz gesagt, ist es eine Form des kollektiven Schreibens. Ein Gruppenzwang, der wie eine Droge wirkt. Und diese Droge heißt: Synergie-Effekt. Ein Team von Autoren erarbeitet gemeinsam einen Stoff. Angefangen vom Brainstorming, über Plotten, Figurenentwicklung und Szenenplan bis hin zur Schreibphase. Alles geschieht unter dem magischen Zusammenschluss mehrerer Gehirne.
Aus der einsamen Schreibkammer hinein in den kreativen Mahlstrom des Writers' Rooms.
Eines schönen Tages klingelte mein Telefon und bescherte mir die Teilnahme an einem Writers' Room. Dieser wurde von Ivar Leon Menger ins Leben gerufen, seines Zeichens Autor, Hörspielregisseur und Verleger meiner Ondragon-Reihe. Herr Menger hatte von Audible den Auftrag erhalten, eine zehnteilige Hörspielserie zu entwickeln, und sah sich außerstande, diese zehn Folgen alleine zu schreiben. Also griff er auf das in den USA bewährte Prinzip Writers' Room zurück, mit dem er schon bei vorherigen Projekten gute Erfahrungen gesammelt hatte. Das Gleiche galt für mich, und weil Herr Menger wusste, dass ich gut ins Team passte, bekam ich den Job.
Wir waren zu dritt. Raimon Weber und ich als Co-Autoren und Ivar Leon Menger als Headautor. Um uns in die Thematik einzuarbeiten, bekamen wir vorab ein Exposé mit der Projektidee und einigen der bereits gesetzten Figuren zugeschickt, ein Moodboard und einen kurzen Trailer, die uns in das Genre 80er-Jahre-Horrorfilme einstimmen sollten. Wir wussten also, dass die Geschichte 1983 in einem kleinen Küstenstädtchen in Oregon spielen sollte und dass ein Sheriff und eine Gruppe Jugendlicher als Hauptfiguren fungieren sollten. Ein mysteriöses Monster namens "Nachtmahr" würde den Bösewicht unter all den netten Kleinstadtbewohnern mimen. Arbeitstitel der Serie war "Monster 1983", und wenn ich ehrlich bin, genügte allein dieser Titel, um mein Kopfkino anzuwerfen.
Meine ersten Erfahrungen mit dem "Gruppenzwang".
Dann kam das erste Plot-Treffen im Frühjahr 2015, es sollte drei Tage dauern. Ich fuhr also nach Darmstadt, wo Herr Menger uns ein Hotel und einen Raum organisiert hatte, in dem wir viele Stunden zusammen arbeiten sollten. Ich war nervös. Was würde mich erwarten? Ein Vorteil war sicherlich, dass ich die beiden Autoren bereits vorher kennen und schätzen gelernt hatte und somit keine Fremden vor mir saßen. Es reichte also ein kleiner Plausch bei Kaffee und Keksen, um miteinander "warm" zu werden, bevor wir uns an die Arbeit machten.
Wir betraten also "the room". Der war nüchtern, ein Tisch für die Notebooks in der Mitte, ein Whiteboard an der Wand, ein Flipchart. Wir nahmen Platz und erhielten zuerst eine technische Einweisung in die Schreibsoftware, die wir gemeinsam benutzen sollten. Herr Menger hatte sich für das Online-Programm Celtix entschieden, da man in der späteren Schreibphase, in der jeder Autor an seinem Heimatort arbeiten würde, in Echtzeit mitverfolgen konnte, was die anderen schrieben. Später haben wir dann aus technischen Gründen auf Final Draft umgesattelt und uns die Skripte gegenseitig zugemailt, was sich bei drei Autoren gerade noch als praktikabel erwies.
Im Anschluss sprachen wir über die Struktur der Serie. Audible wünschte sich zehn Folgen à 60 Minuten Spielzeit, umgerechnet waren das 15-20 Szenen auf ca. 50 Skriptseiten. Wir teilten die einzelnen Folgen unter uns auf, wollten zunächst immer abwechselnd schreiben. Bei der 2. Staffel änderten wir das Vorgehen jedoch auf drei Folgen am Block für jeden Autor, was das Absprachepensum um ein Wesentliches verringerte. Auch das gehörte zu den Erfahrungen, anhand derer wir über drei Staffeln von "Monster 1983" hinweg einiges am Arbeitsablauf unseres Writers' Rooms optimieren konnten.
Nach dem administrativen Teil ging es an die eigentliche Story. Zunächst das Setting: Lage und Beschaffenheit der Stadt. Wir hatten auch schnell einen Namen: Harmony Bay. Zeit: Sommer 1983. Angeregt durch das gemeinsame Brainstorming lief die Ideenfindung wie am Schnürchen und schnell stiegen einzelne Figuren aus der kreativen Ursuppe und gesellten sich zum Ensemble der Protagonisten. Was ich bisher nur aus der Theorie kannte, wurde mit einem Mal spürbar: der berühmte Synergie-Effekt. Was für ein unbeschreiblicher Moment, als sich plötzlich die Grenzen auflösten und unsere Hirne als eine Einheit funktionierten! Und das noch bevor wir uns überhaupt auf eine Diskussionskultur geeinigt hatten. Dies sollte normalerweise im Vorfeld geschehen, damit sichergestellt ist, wie im Writers' Room miteinander kommuniziert wird. Das heißt: Wie äußere ich Kritik und wie meine Ideen? Muss ich Angst haben, dass sich die anderen über meine Einfälle lustig machen?
Meist wird die Diskussionskultur durch den Headautor geprägt, der seine Philosophie des gemeinsamen Arbeitens, die Tonalität und die Regeln in das Team bringt. Hält ein Autor sich nicht an diese Regeln, so muss der Headautor ihn aus den Writers' Room entfernen und ggf. ersetzen. Das gehört zu den eher unangenehmen Aufgaben des Headautors und deshalb sollte jeder Teilnehmer eine möglichst professionelle Ebene wahren. Am Wichtigsten ist aber, dass der Writers' Room ein geschützter Raum ist, in dem jeder Autor seine Ideen ohne Angst vor Spott äußern kann und sei sie noch so verrückt. Nur so schafft man es, von den Standard-Ideen weg und hin zu den wirklich außergewöhnlichen Geschichten zu gelangen.
Die Geschichte ist König.
Nachdem wir die Figuren samt ihrer Namen und Backstorys auf elektronischen Karteikarten angelegt hatten (später bewährte sich das Flipchart), ging es an den Plot. Worum sollte es in der Geschichte gehen und wo sollte sie enden? Wir setzten Höhe- und Wendepunkte fest und begannen alles auf die zehn Folgen aufzuteilen, woraus sich nach und nach der Szenenplan ergab. Das alles lief Hand in Hand, Ideen wurden aus der Taufe gehoben und gleich wieder verworfen, weil sie die Story nicht voranbrachten.
Ein direktes Feedback auf meine Ideen zu bekommen, war für mich gewöhnungsbedürftig und etwas ganz anderes, als im stillen Kämmerlein tagelang über einer Idee zu brüten. Ein "das gefällt mir nicht" oder "das passt nicht" musste ich lernen, auszuhalten im Writers' Room. Aber mir wurde schnell klar, dass nur die stärkste Idee überleben kann. Dabei wird weder der Autor abgelehnt noch sein Können infrage gestellt. Die Kritik ist einfach notwendig, weil sie zum Entwicklungsprozess gehört. Sie eröffnet Raum für Diskussionen, aus denen wiederum die besseren Ideen erwachsen. Und wenn ich weiß, dass ich meinen Mitautoren hundertprozentig vertrauen kann, dann kann ich mich getrost in ihre Arme fallen lassen mit der Gewissheit, dass wir am Ende die bestmögliche Story aus all unseren Ideen herausgefiltert haben.
Entfesselter Irrsinn, aber es braucht einen Kapitän.
Der Headautor sollte in jeder Phase der Entwicklung alles im Blick behalten: Figuren, Szenen, die Autoren. Multitaskig ist das Zauberwort. Dem sollte man gewachsen sein, will man das Projekt nicht gleich gegen die Wand fahren. Man muss seine Autoren anspornen und auch zügeln können, sollten sie in die falsche Richtung galoppieren. Man sollte wissen, wo die Geschichte hingeht, das Chaos entfesseln und auch wieder an die Leine legen, Egos zähmen können. Oft arbeitet der Headautor für das Projekt länger und härter als seine Co-Autoren, denn die Texte wollen überarbeitet werden, wollen einen einheitlichen Stil bekommen. Und am Ende muss er das Ergebnis der Produktionsfirma/dem Verlag präsentieren und dafür gradestehen. Ein Job, wie gemacht für jemanden, der aus seinem stillen Kämmerlein entfliehen will. Ivar Leon Menger ist so ein Mensch und hat seinen Posten als Headautor mit viel Hingabe ausgeführt. Wir haben uns jederzeit wohl gefühlt in seinem Writers' Room. Immer hat er uns das Gefühl der Wertschätzung und der Kollegialität gegeben. Und wir Autoren haben durch die gegenseitige Motivation das Beste aus uns herausgeholt. Von Herrn Menger und den anderen Co-Autoren, mit denen ich bisher zusammenarbeiten durfte, habe ich sehr viel gelernt; für mein eigenes Schreiben und meine Persönlichkeit als Autorin. Es hat meinen Horizont immens erweitert und mich geradezu süchtig gemacht nach dem Arbeiten im Writers' Room.
Nach drei Tagen gemeinschaftlichen Irrsinns waren wir dann auch fertig. Es standen sowohl sämtliche Figuren als auch der komplette Plot, samt Szenenplan für die einzelnen Folgen. Wir brannten für diese Geschichte, die uns in den drei Tagen zusammengeschweißt hatte, und jeder konnte mit dem enthusiastischen Gefühl nach Hause fahren, etwas Außergewöhnliches erschaffen zu haben. Mit Elan machte ich mich an das Schreiben meiner drei Folgen. Dabei war mein Ideenkarussell bei dem Treffen so sehr in Schwung geraten, dass ich es noch für meine eigenen Projekte benutzen konnte. Die Energie des Writers' Rooms wirkte nach, inspirierte mich, brachte mich nach vorn. Die eigenbrödlerische Autorin hatte eine einschneidende Erfahrung gemacht.
Denn Teamwork lohnt sich. Es ist viel einfacher, gemeinsam Ideen zu entwickeln, als mühsam alleine danach zu schürfen. Die Story-Entwicklung geht viel schneller und das Ergebnis ist dank unterschiedlicher Autoren eine viel originellere Geschichte. Auch ist es möglich, den Writers' Room in Deutschland zu etablieren, was die perfekte Zusammenarbeit unseres Monster 1983-Teams und der spätere Erfolg des Hörspiels bewies. Dabei kann der Writers' Room nicht nur einen positiven Effekt auf die Schöpfung von TV- oder Hörspielserien haben, sondern auch auf Romane und andere literarische Gattungen. Davon bin ich überzeugt.
In diesem Sinne, traut euch raus aus eurem stillen Kämmerlein und lasst euch auf andere Autoren ein. Lasst euch inspirieren. Ihr werdet es nicht bereuen.
Writers' room – the unleashed beast (für das "Mystery People Magazine" 9/2018)
by Anette Strohmeyer
Rumor has it – at least in Germany – that it could be most beneficial for a writer to be part of a special group as fabulous and mysterious as the island of Avalon: the „writers' room“. Several writers develop a story together on a collaborative base, being locked-in a room for weeks. A gruesome thought for a lone wolf writer like me.
I ever wondered, if it was possible for authors to write a book together under the principles of the writers' room. Could we learn from what the US TV-writers use since decades?
The answer to that came with a phone call. One of my writing fellows was looking for a substitute for a writer who drop out of the writers’ room they wanted to start a few weeks later. The publishing company Bastei Lübbe and head author Markus Stromiedel had agreed to launch a project on writing a thriller book. The missions statement was: "5 writers, 5 weeks, one book".
Okay, I thought. That could be either fun or disaster. So I singed in.
What is a writers' room?
A well-defined system of collaborative work. A peer pressure with an impact of a drug called "synergy effect". A team of writers develops all parts of a story together. They break ideas, they plot, create outlines and characters. After that intense period of being creative, they leave the room to write the first draft of their episode.
Out of the lonely writing retreat into the creative maelstrom of the writers' room.
A first logline was given to us in advance: One man awakes on a riverbank in vicinity of Berlin and has no memory. The story should be a wild chase through Europe. No more parameters. Just that. But was this enough for fuelling our inspiration?
Lübbe wanted to try out new ways to develop and edit stories. The writers' room, they admitted, was an experiment. The outcome unknown. Maybe it would work out well and be a worthwhile storytelling option for the future.
And there was still another challenge. Nobody in Germany has dared writing a book in a US-style writers' room before.
After these preliminaries we arrived at the publishing company in Cologne and were led into a conference room, which would be our home for the next 5 weeks. Contracts had been settled before, in which Lübbe followed the writers' room principles of a weekly payment. They paid us for just being creative and not for delivering drafts. That is a huge difference that relieves you from the passed down tradition: You only get paid when you deliver ready to dispatch material.
Unless we had to deliver, but all ideas.
First to come was the introduction of ourselves to each other, the Lübbe executives and the project manager Stephan, who was also the editor. After that, everybody, who was not a writer, left the room. The reason for that was simple. Creative crowds feel disturbed by the presence of non-creative persons. The writers' room should always be a safe room in which you could utter every freak idea.
With all disturbing factors eliminated, we still had to sort out some things. For example to set up an intranet for the laptops or checking the technical stuff like the beamer.
My first experience with peer pressure.
On the brim of that unknown event, I looked at the others. The five of us in the room. What would happen? Are we going to succeed after 5 weeks or are we going to kill each other right away?
Since our head author Markus gave us the green light, the wild beast of creativity was unleashed. We immediately started breaking ideas. Characters were born, arenas established and the story outlines fixed. The world of our hero grew incredible fast, idea by idea. We only had to pick one great brainchild out of the fantastic stream of ideas that came out of our brains.
It felt like magic. The synergy effect took over and connected our brains. I never experienced that kind of strong energy between people, who had hardly known each other just an hour ago. It was breathtaking.
The story is king.
After one week of harvesting only the best of our ideas – and surprisingly not killing each other –, the whole plot for a 300 pages book was set up, which was absolutely amazing. Imagine doing all that by yourself. That’s one huge advantage of the writers' room. You immediately get feedback on your ideas. There’s no grinding decision-making about the characters or certain scenes. All issues getting checked very quickly and effectively within the group. Only the most relevant idea for the storyline survived. The story was king, not the idea of a single writer.
After the period of swarm creativity the writing process started. Because the storyline was so meticulously set up, everybody had known what was going to happen in his own 25 chapters. The daily scheduled output for everyone was three pages that went directly to the head author, who switched/changed his position to rewriting and polishing.
In the end, we managed to write a first draft version of a whole book. A task I really didn’t put trust in at the beginning of this adventure. But what should I say: It worked out very well. Everyone at Lübbe was satisfied with the outcome. Five writers wrote a book in five weeks!
An amazing experience I never wanted to miss. I absolutely loved the teamwork and the different opinions of my fellow writers, the appreciative and supportive atmosphere. I didn't felt not respected or dismissed at any time and I had a lifetime of fun every precious minute.
When I left the writers' room I felt unbelievably happy but also sad, because now I was going to write further books alone. Fortunately I was invited to many writers' rooms since then and I always try to work on many projects as possible together with other writers. Sometimes you simply should unleash the beast!